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Mit Daunenfedern und kalten Fliesen – JUDITH KLEMENC auf Residency in Portugal

Sommer, Sonne, Strand und Meer? In Judith Klemenc’s Artist Residency im portugiesischen Guimarães weht der Wind in eine andere Richtung: Sommerfrische macht Platz für die künstlerische Aufarbeitung von Erfahrungen der Diskriminierung. Zu diesem Zwecke hat Klemenc im Rahmen ihres von Magic Carpet organisierten Aufenthalts eine Installation in Zusammenarbeit mit ehemaligen Textilfabriksarbeiter:innen kreiert. Gemeinsam mit der Künstlerin lag es an ihnen, die ihnen aus dem Textilbetrieb vertrauten Fäden neu und anders in den (Ton)Boden zu legen, um gleichsam Autor:innen der eigenen Geschichte zu werden.
Kolossal kommt Judith Klemenc´sin Guimarãesaufgebaute Installation daher, doch gleichzeitig sanft und verletzlich: Die milchweißen Fäden, die im hinteren Teil eines rund 400m² großen Betonareals von der Decke hängen, suggerieren zunächst Geborgenheit. Einige der Fäden streifen den Boden, andere sind ganz im Schwebezustand begriffen. An Daunen erinnernde Ausfransungen bestärken den Eindruck. Insgesamt gleicht dieser Komplex aus Schnüren, Seilen, Fäden und Federn mit seinen Verdichtungen und Verhedderungen einem Schleier. Der Begriff des Schleiers in seiner Paradoxität trifft es hier gut, ein Schleier kann schließlich Schutz gewähren als auch die Wahrheit verbergen. Denn die in Portugal im Zuge der Residency entstandene Arbeit mit dem sprechenden Titel „BodySkin“ ist nicht so eitel Wonne wie sie zunächst scheint.
Man fühlt sich an die japanische Installationskünstlerin Chiharu Shiota erinnert, die mit ihren federleichten, dicht verwobenen Fadenkonstruktionen die Vielfalt zwischenmenschlicher Beziehungen, auch in ihrer Schwere, im Raum erkundet. Fäden können sich verbinden und verknoten, sich aber auch verfangen und gar reißen. Nur hat sich in Klemenc Installation noch ein weiterer Objektkomplex hinzugesellt. Die Rede ist von einem Entrée aus am Boden liegenden, gestalteten Tonfliesen. Als Gegenpart zur symbolischen Schutzhaut – dem Schleier – bauen sich diese in mehr oder weniger loser Zuordnung auf. Sie bürden der Arbeit „BodySkin“– wobei der Ton den Körper und die herunterhängenden Fäden die Haut repräsentieren – ein Gewicht im physischen Sinn auf. Wieder sind es Fäden, doch ein diesem Falle in die Fliesen eingelegte und nicht mehr so unberührte. Bei genauerem Blick tragen sie tiefe Kerben in sich. Die Zeit heilt alle Wunden, heißt es sprichwörtlich, doch das trifft hier nur bedingt zu. Narben sprießen aus dem Körper raus. Ein glattes Fell hat bereits alles überdeckt. Die Wunden und Risse jedoch bleiben. Sie haben reliefartige Muster hinterlassen.
Bemerkenswert ist in dem Zusammenhang die Entstehungsgeschichte dieser zweiteiligen Arbeit: Die unzusammenhängend am Boden liegenden Tonfliesen wurden nämlich von der Künstlerin in Gemeinschaftsprozess mit ehemaligen Textilfabrikant:innen gestaltet, die sich heute in einem Altersheim befinden. Sie waren es auch, die zu Spitzen verknüpfte Fäden in die Fliesen legten, auch als eine Art Aufarbeitungsprozess. Ihre Fließbandarbeit in der Vergangenheit war von traumatischen Erfahrungen und unmenschlichen Zuständen geprägt, die Installation spricht davon. Stück für Stück wurden die einzelnen Fliesen zu Art Inseln auf den Boden gelegt. Fäden stanzen sich so in der „Body“-Arbeit wie rohes Fleisch in den rohen Ton rein und hinterlassen einen Abdruck, der Geschichten offenbart. Fürsorglich, fast schon schützend geht Klemenc mit den Einschreibungen der Betroffenen in den Fliesen vor. Man merkt, dass ihr etwas anvertraut wurde, das Sensibilität bedarf: „Ich war sehr viel mit den Geschichten alleine und habe sie studiert. Die gelegten Spitzen werden dabei zu Zeichnungen. Sie fassen vieles, das sprachlos macht und reichen von Leid und Resignation, der Arbeit in Fabriken bis hin zu unermüdlichem Kampf und Lebensfreude. Selbst geschlechtsspezifischen Eigenheiten sind abzulesen. Legten Männer vornehmlich geometrische Muster, waren Frauen viel eher darauf bedacht, die Spitzen rund und weniger systematisch zu ordnen“, erzählt sie.
Die Fliesen wirken auf den ersten Blick kalt und kühl, sind aber in Wahrheit Träger und Generatoren von Emotionen. In diesem Sinne muten sie äußerst brüchig an. Auch wenn sie aufgrund ihrer eigentlichen Kompaktheit das menschliche Gewicht zweifellos aushalten, würde man sich kaum wagen, auf ihnen zu gehen. Wenn doch, rufen sie zur allerhöchsten Vorsicht auf. Auf metaphorische Ebene übertragen stellt sich hier die Frage des Umgangs der jüngeren Generation mit der älteren. Gerade weil er heute brutal mit den Fehlern der Vorfahren abgerechnet wird, ruft die Installation zu einem sanfteren Umgang untereinander auf. So ist in den Fliesen die Arbeit der Vorgeneration eingeschrieben, die behutsam begangen werden soll. In diesem Falle fungieren die Spitzen in den Fliesen dann als Lebensfäden, die die Ahnen den Nachkommen geben, sodass diese in ihre eigenen Häute schlüpfen.
Bis Anfang August dieses Jahres verweilte die Künstlerin in Guimarães, ihre Zeit war dabei intensiv, aber auch schockierend, wie sie es selbst beschreibt: „Die Altenheime in Portugal sind nochmals etwas ganz anderes als in Österreich. 100 Menschen sind 3 Pfleger:innen zugeteilt, die komplett apathischen Bewohner:innen des Heimes sind aufgestellt wie in einer Schulklasse vor einem Riesen-Fernseher. Nur ein Zehntel der Bewohnenden konnte tatsächlich mitarbeiten, auch wenn diese es mit großer Liebe und Begeisterung getan haben.“ Die Ausschreibung der Kunstprojektes war übrigens auch darauf bedacht, eine Künstlerin zu finden, die mit Textil und Ton, als auch mit Communitys arbeiten soll, in denen Menschen mit diskriminierenden Erfahrungen aus der Fabriksarbeit leben. Als Hintergrund muss man dabei den Umstand der Stadt als Hochburg der Textilindustrie berücksichtigen, die bis weit in die 1970er Jahre hinein den Menschen Arbeit und sicheres Grundeinkommen versprochen, aber auch falsche Hoffnungen und viel Leid in Form unmenschlicher Arbeitsbedingungen gegeben hat: „Die jüngere Generation will partout nicht in den Textilfabriken arbeiten, da sie die traumatisierenden Erfahrungen der Vorgenerationen mitbekommen haben. So ist eine Diskrepanz zwischen der älteren und der jüngeren Bevölkerung entstanden“, erklärt Klemenc. Auch heute noch prägen Textilfabriken den Ort. Klemenc verarbeitet Omnipräsentes zu einer immersiven Installation, wobei die Auswahl der Örtlichkeit an sich schon auf den Moment Bezug nimmt, die Augen vor der Realität der Vergangenheit nicht verschließen zu können. „Die Arbeit ‚BodySkin‘ befindet sich in unmittelbarer Nähe zum Hauptplatz in einen riesigen Betonkomplex, der sich einem Hofgarten gleich auftut. Er ist eigentlich nicht zu verfehlen und liegt sehr präsent und unumgehbar im Ort“, so die Künstlerin.
Judith Klemenc Arbeitsweise war immer schon von Behutsamkeit geprägt. Leise, ruhig, doch mit subtilem Aufschrei, arbeitet sich die in Tirol geborene Kunstschaffende an Diskriminierungsprozessen ab. Feminismus und Klassismus sind Themen, die sich durch ihr Werk hindurch ziehen. Klemenc ist sowohl in der Objekt- als auch Video und Performancekunst tätig, wobei eine strikte Abgrenzung in ihrem Falle schwerfällt, da sie die Bereiche ineinanderfließen lässt. Paradebeispiel ist ihre 2022 entstandene Installation „dancer avec annie“ mit ineinander zu einem großen Knoten verschlungenen Körpern aus Watte, Gips und Strumpf, die sich erst auf den zweiten oder dritten Blick als Beine entpuppen. Wie knapp über den Boden tänzelnde, fast fliegende Kreaturen wirken die im Kontrast zu einem schwarzen, verknoteten Konvolut nach unten ragenden Füße, die ganz in weiß getüncht sind. Lediglich ein Bein kommt am Fundament an, zart tippt es mit dem großen Zeh auf den Boden. Der Farbkontrast untermalt dabei die Spannbreite und kennzeichnet Erfahrungen des Sprachlosen – ein Grundsujet der Künstlerin – die wie ein Knoten um den Körper sitzen und in Klemenc Werk ein Gewand verliehen bekommen. Quasi einer Haut gleich zieht es sich schützend über das Innere. Die Brücke zur aktuellen Installation in Guimarães ist hier nicht weit. „Dancer avec annie“ ist kein Einzelfall im Werk der Künstlerin. Arbeiten wie „AMEN“ spielen ebenso mit verschlungenen Körpern. Aus dem Körpergewirr am Boden strecken hier urplötzlich Arme mit Boxhandschuhen mit klaren Linien empor. Sie differieren in ihrer dunklen Erscheinung mit den weißen, weichen Strümpfen am Boden. Wie sie hin und her pendeln und sich überlagern, nur um dann wieder auseinander zu driften und ihr Eigenleben zu beginnen, zeigt abermals, wie Klemenc den Körper als emotionales Kraftfeld definiert. In ihrem Verständnis ist er kein starres Gebilde, sondern dynamisch, widersprüchlich und voller Leerstellen, die sich wie zwei Pole anziehen und wieder abstoßen. Auch „worlds“, eine Installation rund um das Gebären, die mittels Eierschalen die Ambivalenz von Brüchigkeit und Stabilität darstellt – das Brechen der Schalen bringt ja erst neues Leben auf die Welt – ordnet sich in diesen Kontext ein. Um nicht zuletzt zur Arbeit „wings“ zu gelangen, ein mit Federn übersätes Bett, das auf den Rassismus in den USA Bezug nimmt und in diesem Falle den Gewaltakt ungewöhnlich flauschig und daher noch erschütternder daherkommen lässt. Form und Inhalt widerstreben manchmal bewusst, auch weil das Leben selbst oft Eindeutigkeit verwehrt. Einmal markiert selbst die Zerstörung – wie beim Bruch des Eies – ein freudiges Erlebnis, dann wiederum kann selbst ein flauschiges Daunenmeer für eine Mordtat stehen. Klemenc bricht scheinbare Allgemeingültigkeiten auf.
Das haptische Gefühl in der immersiven Installation „BodySkin“ wird ganz in Analogie zu Arbeiten wie „dancer avec annie“, „AMEN“ oder „wings“ bereits allein durch das Auge getragen: Die Fäden umgeben einen wie Wolle – man spricht nicht zufällig vom Gewand als zweite Haut, die einen schützt, doch das Innere nie ganz verbergen kann und daher immer einen gewissen Grad an Verletzlichkeit mit offeriert. Diese Verletzlichkeiten legt Judith Klemenc in ihren Arbeiten offen. Nun hat sie, diesem Gedanken entsprechend, einen Weg gefunden, wie Menschen in Guimarãesihr widerfahrenes, noch stets omnipräsentes Leid abstreifen können. Das Legen der Fäden, das schon fast einem Ritus gleichkommt – in diesen Zusammenhang poppen sogar Verbindungen bis hin zu Künstler Wolfgang Laib und seinen Milchsteinen wie auch seiner zeremoniellen Handlung des Pollenpflückens und Reiskornlegens auf – hat hier ebenso existentielle Funktion. Mehr noch legt Klemenc den Fokus auf zwischenmenschliche Dialoge, die mal versöhnlich, mal kathartisch, andernorts auch zerstörerisch sein können. „BodySkin“ ist Beleg, wie die Künstlerin in die Arbeit an der Schwelle zwischen ihr selbst und anderer reinhorcht. So lange, bis sie zu dem vorrückt, was einzelne Worte und Sätze nicht imstande sind, auszudrücken. 

Florian Gucher.
https://komplex-kulturmagazin.com/2023/09/05/mit-daunenfedern-und-kalten-fliesen-judith-klemenc-auf-residency-in-portugal/
5.9.2023


Hilde-Zach-Kunststipendien vergeben

Auszeichnung geht an Judith Klemenc und Clemens Sellaoui Judith Klemenc erhält heuer das mit 7.000 Euro dotierte Hilde-Zach-Kunststipendium, Clemens Sellaoui nimmt das Hilde-Zach-Kunstförderstipendium in der Höhe von 3.000 Euro entgegen. Eine extern besetzte Fachjury – heuer bestehend aus Ass.-Prof.in Mag.a Dr.in Xenia Ressos (Institut für Kunstgeschichte, Universität Innsbruck), Annja Krautgasser (Künstlerin) und Hans-Joachim Gögl (künstlerischer Leiter des BTV Stadtforum) – wählte kürzlich aus 21 Einreichungen diese beiden KünstlerInnen aus.
Kulturstadträtin Mag.a Uschi Schwarzl würdigte die Preisträgerinnen anlässlich der Übergabe der Urkunden: „Sie bereichern mit Ihren vielfältigen Ausstellungen, Installationen und Performances das Kulturleben in Innsbruck und weit über die Grenzen hinaus. Das Hilde-Zach-Kunststipendium soll Ihnen als Unterstützung und Förderung für Ihre weiteren Kunstprojekte dienen.“
Judith Klemenc überzeugte die Jury mit ihrer jahrelangen und konsequenten Aufarbeitung von feministischen Themen, denen sie in vielfältiger Form und mit unterschiedlichsten Materialitäten Ausdruck verleiht. Zudem wirkt die Künstlerin stark in der Tiroler Kunstszene mit und bereichert bereits seit vielen Jahren das Innsbrucker Ausstellungswesen mit spannenden Positionen. Innsbruck informiert. 30. 9. 2021.


Einladung an Unerhörte
Die Künstlerin Judith Klemenc lässt Menschen am Land in ihr Telefon sprechen.

Eine Lichtung im Wald, irgendwo bei Scharnitz. Plötzlich klingelt da etwas. Ein Telefon auf einem Tischen – warum hier? Wenig später hört man sich eine schwierige Frage beantworten. „Haben es arme Menschen schwerer als reiche?“ zum Beispiel. Oder: „Werden Frauen anders behandelt als Männer – und wenn ja, warum?“
Das Moment der Überraschung nutzte die Innsbrucker Künstlerin Judith Klemenc bisher bewusst, als sie im August für ihr Projekt Muschel vorbeigehende Spaziergänger und Wanderinnen zum Gespräch bat. Ab September können Interessierte das Wählscheiben-Telefon gezielt aufsuchen (siehe Infokasten). Diese Antiquität, gefunden auf einem Flohmarkt, inspirierte Klemenc zu ihrer vom Land Tirol geförderten Kunstaktion. Ihre Idee ist, ganz verknappt, Menschen außerhalb der Ballungsräume mit gesellschaftlichen Fragen zu konfrontieren und sie sprechen zu lassen. Denn soziale Medien allein hätten bisher wenig zum gegenseitigen Verständnis beigetragen. Einerseits, weil viele Menschen gar nicht diesen Zugang dazu haben. Es könne also nicht jeder und jede einfach über Tiktok oder Facebook eine Meinung hinausposaunen. Eine ältere Dame sagte: Endlich werde ich einmal etwas gefragt, erzählt Klemenc. Es gäbe nach wie vor eine klare Hierarchie, wem zugehört werde und wem nicht.
Auf ihren Muschel-Aufnahmen fand Klemenc bisher auch lange Momente der Stille. Ein junger Mann hat auf eine Frage zu Sexismus sicherlich fünf Minuten geschwiegen und dann einfach nur gesagt: Ja. Ja, Frauen werden anders behandelt. Wie sie ihre schwierigen Fragen formulieren könnte, hat Klemenc einiges Kopfzerbrechen bereitet, und sie adaptiert ihren Prozess laufend. Bestimmte Begriffe würden zum Nachdenken anregen und andere eher abschrecken. Sie, die selbst im Gesprochenen kurze Pausen einlegt, um die Vielfalt von Identitäten anklingen zu lassen, ließ sich für das Projekt auf vermeintlich inkorrekte Ausdrucksweisen ein. Menschen in den Städten denken und sprechen anders als Menschen außerhalb, sagt die Künstlerin. Und ich habe auch bei mir selbst eine gewisse ≠Arroganz wahrgenommen, mit der ich von anderen einen sensiblen Sprachgebrauch einfordere. Viele Leute hätten eine Scheu zu sprechen entwickelt aus Angst, etwas Falsches zu sagen. Klemenc möchte darum eine neue Art des Hörens kultivieren. Es gibt Vieles, was gesagt und gehört werden will. Müssen wir da immer sofort mit der moralischen Keule des Sprachgebrauchs drübergehen oder können wir nicht auch etwas im Unerhörten lassen?
Die Künstlerin, die wiederholt Sexismus, Rassismus und Klassismus thematisiert, möchte ungern von politischen Lagern vereinnahmt werden, die Bedürfnisse von marginalisierten Gruppen lächerlich machen. Ich denke aber, dass man Menschen zu einer sensiblen Sprache nur motivieren kann, wenn man ihnen Raum zum Nachdenken gibt. Ihr Telefon wird Klemenc ab Ende September an öffentlichen Orten in Innsbruck aufstellen. Es wird wieder klingeln. Aber diesmal werden die Menschen der Stadt einmal nur zuhören dürfen.
Rebecca Sandbichler. 20-er. Innsbrucker Straßenzeitung.


Telefonbimmeln am Waldesrand: Installation von Innsbrucker Konzeptkünstlerin

Absam/Obernberg – So manche, die am kommenden Samstag bzw. Sonntag durch das Halltal bzw. zum Obernbergersee wandern, werden sich über ein kleines, am Wegrand stehendes Tischchen wundern, in dessen Mitte ein altmodisches Telefon steht, das laut schrillt. Wer neugierig darauf ist, was es damit auf sich hat, wird bei so etwas wie einem Anrufbeantworter landen, auf dem weibliche und männliche Stimmen mehr oder weniger pointiert ihre Meinung zu Fragen wie Klassismus, Rassismus und Sexismus äußern.
„Muschel – Stadtrandläuten“ nennt Judith Klemenc ihre interaktive Intervention im öffentlichen Raum, die dieses Wochenende ihre Fortsetzung findet. Handelt es sich bei den per Telefon transportierten Texten doch um die Sammlung jener Antworten auf Fragen, die die Tiroler Konzeptkünstlerin in den vergangenen 14 Tagen an fünf Orten rund um Innsbruck unschuldig Wandernden per Telefon gestellt hat. Fragen wie die, ob man glaubt, dass es Frauen im Leben prinzipiell schwerer als Männer oder Reiche leichter als Arme hätten. Fast alle der Angesprochenen hätten sich auf die Fragen eingelassen, sagt Klemenc, manche hätten zwar geschimpft, nur einer eine Antwort verweigert.
Als Abschluss des Projekts soll ein Fotoalbum und eine Musik- Textcollage entstehen, die am 8. Oktober in Büchsenhausen präsentiert wird. (schlo) Tiroler Tageszeitung, 9.09.2021


ICH SEHE
WAS, WAS
DU NICHT
SIEHST

… und das ist gut so! Denn davon leben die (un-) fassbaren Kunstwerke der Künstlerin Judith Klemenc.
Voilà! Voler.“ lautet der Titel der Ausstellung, die noch bis 30. April im Glaskubus vor dem Tiroler Landestheater zu sehen ist. Voilà! Voler. – das klingt nach Leichtigkeit, selbst wenn man nicht weiß, was genau die Worte bedeuten, wenn ihre genaue Bedeutung nicht greifbar ist. So ähnlich verhält es sich auch mit den präsentierten Werken. Dabei ist es noch nicht einmal der Anspruch der Schöpferin Judith Klemenc selbst, ihnen eine eindeutige Interpretation zuzuweisen.
Hier bin ich. An einem kühlen Märzvormittag treffe ich mich mit Judith Klemenc beim Glaskubus vor dem Tiroler Landestheater: eine zierliche Frau, von Kopf bis Fuß schlicht in schwarz gekleidet, die schulterlangen rotbraunen Haare vom Wind und dem wiederholten Streichen aus der Stirn zerzaust. Aufgeweckt und herzlich – soweit das die Corona-Regeln zulassen – begrü.t sie mich zu „Voilà! Voler.“. Was genau sich hinter dem Titel verbirgt, geschweige denn, was mich in der gleichnamigen Ausstellung erwartet, weiß ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Aber gemeinsam mit der Künstlerin bin ich bereit, es herauszufinden.
Zerbrochene Welt. Beim Betreten des Ausstellungsraums treffen wir auf das erste Kunstwerk „worlds“: Zu unseren Füßen türmt sich eine Vielzahl an einförmigen Tonobjekten in Schwarz und Weiß. Dank ihrer Bemalung erscheinen sie wie unförmige Globen. Einige sind zerbrochen. Die Scherben einer kaputten Welt. Dabei bringen Scherben doch Glück, heißt es so schön und so haftet auch diesen Weltscherben etwas Positives an. „Scherben sind ein bedeutungsvolles Motiv in meinen Arbeiten, weil daraus immer etwas Neues entsteht“, erklärt Klemenc. „Mir geht es dabei um eine bewusst positive Besetzung.“
Treu und neu. Der Ton als Material – und damit auch die Scherben – begleiten Klemenc in ihrem künstlerischen Schaffen schon jahrelang. Heute allerdings ist Ton längst nicht mehr der einzige Stoff, den die studierte Bildhauerin und Keramikerin bearbeitet. Viele weitere Materialien finden Einzug in ihre Werke. „Ich beobachte bei mir selbst eine Wendung hin zu typisch weiblich konnotierten Materialien wie Seide, Spitze und Strumpf“, bemerkt Klemenc. In den Werken gehe es ihr nicht mehr darum, neue Welten zu kreieren, sondern die vorhandene Welt umzubenennen, indem die Materialien neu besetzt werden. „Ich muss selbst noch nachspüren, was da eigentlich mit mir passiert.“
Körpersprache. Obwohl sich die einzelnen Arbeiten schon aufgrund ihrer materiellen Beschaffenheit deutlich voneinander unterscheiden, lassen sie alle eine gewisse Handschrift erkennen. So prägen auch Haptik und Form die Werke, wohingegen Farben sehr sparsam zum Einsatz kommen. Die Künstlerin betont: „Körperliche und seelische Verletzlichkeit, der Körper als Zuhause und die Haut als Organ, mit dem wir in Kontakt kommen, und die Leiblichkeit, die in ihrer Verletzlichkeit Erfahrungen schreibt, das alles sind Gedanken, die sich durch alle meine Arbeiten ziehen.“ Gleichzeitig fließen immer wieder metaphorische Bilder in die Werke mit ein: Da sind zerbrochene Welten, etwas hängt am seidenen Faden, ist dünnhäutig oder auf Federn gebettet, oder es brennt der Boden unter den Füßen.
Perspektive. Nicht zuletzt dank der sprachlichen Bilder werden Klemenc’ Werke nachvollziehbar. Tatsächlich eröffnen die Ausstellungstücke meist eine Vielfalt an Interpretationsmöglichkeiten und Assoziationen. Entsprechend der individuellen Lebenswelt soll die Deutung vor allem im Auge der Betrachterin oder des Betrachters liegen. Damit macht es Klemenc ihrem Publikum leicht, mit den Ausstellungsstücken zu kommunizieren. „Mir ist es wichtig, an der Basis zu arbeiten und mit den Leuten ins Gespräch zu kommen“, betont sie. Gleichzeitig lautet ihr Ziel: „Kunst zu machen aus einer politischen Haltung heraus für ein gutes Miteinander.“
Visuelle Übersetzung. Feminismus, Menschlichkeit, Werte, Gemeinschaft, Freiheit, Fürsorge, all das sind Themen, die bei der Ausstellung im Glaskubus mitschwingen. Im weitesten Sinne haben sie alle mit Gleichberechtigung zu tun. Klemencs Ansicht nach ist es dabei aber vor allem entscheidend, Gleichberechtigung als „Gleichwertigkeit“ zu erkennen. Die Inspiration für ihre Arbeiten ziehe die Künstlerin in erster Linie aus persönlichen Erfahrungen, wie sie durchklingen lässt. „Die künstlerische Auseinandersetzung mit Feminismus, rassismuskritischen und klassismuskritischen Themen gibt mir die Möglichkeit, meine persönliche Betroffenheit zu abstrahieren“, erklärt sie. Auf dem Weg von der Erfahrung hin zur künstlerischen Umsetzung spielen zudem wissenschaftliche Theorien eine wichtige Rolle. Sie seien der Schlüssel, um eigene Erfahrungen nach außen zu verlagern. „Ich lese diese Theorien sinnlich und daraus entstehen Bilder. Die Theorien ermöglichen mir, einen anderen Bezug zu meinen persönlichen Erlebnissen herzustellen“, vermutet Klemenc schließlich. „Vielleicht sind meine Arbeiten Übersetzungen von Theorien in Körper, die berühren.“
Kunsterlebnis. In Berührung treten, das sollen auch die Betrachterinnen und Betrachter mit Klemencs Werken. Es sei wichtigen, Kunst zu erfahren, findet sie, wobei vor allem die emotionale Ansprache eine Rolle spiele. Dazu gehört es auch, die Kunst in ihrer Umgebung wahrzunehmen, die Objekte anzufassen und darüber zu sprechen. Denn auch die Schöpferin selbst ist bereit, ihre Werke neu zu „erfahren“. Während man mit ihr durch die Ausstellung schlendert, hat man das Gefühl, lebendigen, freien, wandelbaren Kunstwerken zu begegnen, denn jede und jeder, der sie betrachtet, darf ihnen eine neue persönliche Sichtweise hinzufügen. Die eine richtige Interpretation gibt es nicht, aber im Miteinander verschiedener Betrachtungsweisen ergibt sich ein unendliches großes Ganzes.
Elisabeth Probst. TIROLERIN April 2021


Voila! Voler: im Glaskubus beim Landestheater

Die Ausstellung
In ihrer Ausstellung VOILA! VOLER: im Zwischennutzungprojekt „RFDINSEl“ präsentiert Judith Klemenc neue Arbeiten, die feministische, Rassismus- und Klassismus-kritische Positionen erfahrbar machen und – wie der Titel andeutet – allzu festgefahrene Figuren in Bewegung versetzen wollen. Judith Klemencs Arbeiten zeugen von einer ephemeren Kraft, die der Materie stets schon immanent ist. Es ist das, was die Körper in die Luft heben und fliegen lässt, was Klemencs Arbeiten zeigen: „Voler, c ́est le geste de la femme, voler dans la langue, la faire voler, […]“, schreibt die französische Autorin Hélène Cixous, und in der deutschen Übersetzung von Claudia Simma klingt es so: „Voler, (sich davon)stehlen, (ent)fliegen, das ist die Bewegung der Frau, in der Sprache stehlend entfliegen, die Sprache dazu zu bringen, sich flugs davonzustehlen.“1 Bisher war es das archaische Material Ton, wovon auch das Erdgeschoß der aktuellen Ausstellung mit den Arbeiten „worlds“ und „together“ zeugt, mit dem Judith Klemenc tradierte Welt- und Selbstverständnisse befragte. Doch jüngst zeigt sich eine Wende in ihrem Œuvre, auf die eine Neubestimmung von weiblich konnotierten Materialen wie Spitze, Seide, Watte und Kleidungsstücken wie beispielsweise Strümpfen und Schlüpfern hinweist. Im 1. Stock des Glaskubus vor dem Landestheater Innsbruck setzt sich die raumbestimmende Arbeit „Amen II. campaigning for the light of the world“ für eine Anerkennung von scheinbar am Boden liegenden Werten wie Fürsorge, Empathie und Abhängigkeit ein: Pulsierende leuchtende Körper wuchern durch den offenen Ausstellungraum und klettern die glatte Glasfront empor, um dort mit Boxhandschuhen auf eine Wertschätzung von humanistischen Werten zu pochen. Mit der Hinwendung zu den Materialien Seide und Spitze seien auch die Arbeiten „nurse“, „beyond the frame“ und „chora“ im selben Raum genannt, die für eine gesellschaftliche Anrufung sensibilisieren. Abgegrenzt davon thematisiert die Arbeit „0815 II“ das Begehren entlang eines Be- griffs von Normalität, der intersektionale Diskriminierungskategorien ausblendet. Der letzte Raum ist mit Federn gefüllt: Eine Pritsche übersät mit Federn spielt so- wohl auf ein Federn-Lassen an als auch auf ein sich oder andere In-Federn-Betten. Einige dieser Federn – „3 × 3 = 9“ – sind einzeln auf Wachs als Flügel erfasst und hinter einen Rahmen gebracht. Der Titel dieser Arbeit „wings“ führt zugleich zum Titel der Ausstellung: VOILA! VOLER:. Was bei Cixous als widerständige wie produktive Geste des Andersschreiben in Anschlag gebracht wurde, setzt sich in den Arbeiten Klemencs fort: Kritik an bild- und sprachimmanenten Strukturen von gesellschaftspolitischer Gewalt findet nie von außen statt, sondern regt sich immer schon inmitten der Verhältnisse. Ihre Kunst bleibt nicht bei der Kritik stehen, sondern vermag es bereits, neue Assoziationen zu mobilisieren und menschenwürdige Reflexionsräume zu eröffnen. Ein ethisch-ästhetischer Anspruch wird somit zentral: die Anerkennung aller Menschen in ihren unterschiedlichen Verletzbarkeiten.

Zur Künstlerin
„Judith Klemenc setzt sich in ihrer künstlerischen Arbeit, die Objekte, Installationen, Videos und Performances umfasst, intensiv mit dem wirklichkeitsstiftenden und transformatorischen Potential der Kunst auseinander. Entlang der subtilen Differenzlinien zwischen Körper und Sprache ist es immer wieder die Frage des Geschlechts, die zur Disposition steht. Geschlechtsidentität, sexuelle Orientierung, soziale Anrufung, die Genese von Körperlichkeit – die künstlerische Bearbeitung dieser Fragen stellt eine Übersetzung vom Intelligblen ins Sinnliche dar. Wissenschaftliche Auseinandersetzung mündet in eine ästhetische und umso transformativere Formensprache. Darin zeigt sich wesentlich die Handschrift Klemencs: Kritik an bild- und sprachimmanenten Strukturen von gesellschaftspolitischer Gewalt findet nie von außen statt, sondern regt sich immer schon inmitten der Verhältnisse. Ihre Kunst bleibt nicht bei der Kritik stehen, sondern vermag es bereits, neue Assoziationen zu mobilisieren und menschenwürdige Reflexionsräume zu eröffnen. Ein ethisch-ästhetischer Anspruch wird somit zentral: die Anerkennung aller Menschen in ihren unterschiedlichen Verletzbarkeiten. Bezirksblätter, 2. April 2021


Voilà! Voler:“ Judith Klemenc: von Federleichte Stofflichkeit

Voilà! Voler:“ Judith Klemenc: von Federleichte StofflichkeitMit „Voilà! Voler:“ eröffnet Judith Klemenc ihre erste Einzelschau für „Reich für die Insel“.Innsbruck – Sie sind geblieben. Obwohl das Ende der Initiative „Reich für die Insel“ im zentralen Glaskubus vor dem Tiroler Landestheater schon feststand. Wohl auch Corona sei Dank kann Initiator Severin Sonnewend dort seit dem Wochenende neueste Arbeiten von Judith Klemenc ausstellen, die die Tiroler Künstlerin unter dem Motto „Voilà! Voler:“ zusammengefasst hat.
Begrüßt werden Interessierte von ihren Arbeiten bereits vor dem Eingang. Spuren, Fußabgüsse der Künstlerin, führen in die Ausstellung. Dort trifft man zunächst auf Klemencs bevorzugtes Material, den Ton, mit dem sie nicht zuletzt wegen seiner Archaik am liebsten arbeitet. Geformt hat die Künstlerin in ihrer Installation „worlds“, eiförmige Welten, mit denen das Verhältnis von Welten und Grenzen abgewogen wird und auch die Vorstellung einer „weißen Welt“ gegenständlich wird. Und am Ende liegen alle Welten in Scherben. Die Aufgabe, Grenzen aufzuheben, hat auch die Installation „together“, in der Individuen zu einer Einheit verschmelzen.
Mit vermeintlich klassisch weiblichen Stoffen ist das Obergeschoß bestückt. Dort wächst „amen II“, ein weicher, warmer, sanft leuchtender Körper die Glaswände hoch. Und wird dort mit Boxhandschuhen zur wehrhaften Kraft. Weibliches Empowerment, versinnbildlicht durch das „Ausbrechen aus dem Rahmen“ (in „beyond the frame“), führt zur nüchtern, gar sterilen Installation „0815 II“, bei der der Gleichmacher intravenös verabreicht wird. Werden Menschen erst alle gleich, wenn alle 0815 sind?
Klemenc spielt mit Kritik an Heteronormativität und dem Drang zu Individualismus. Manchmal plakativ, zuweilen federleicht. Ihre Ausstellung hat sich jedenfalls streng dem aktuell Relevanten verschrieben. (bunt) Tiroler Tageszeitung, 15.02.2021