Shaping the Presence – Lecture Performance

Bevor ich Ihnen erzähle, wie es dazu kam, dass ich nun da, in dieser Presence als ein sprechendes Subjekt mit Ihnen kommuniziere, möchte ich kurz auf diesen Ton eingehen. Auf diesen Ton, der da rot und schamottiert in kleine Teile zerlegt wird. Ich zerlege diese 30 Kilo Ton in zig kleine Teile, um jedem von Ihnen einen Teil zu geben. Einen kleinen Teil, der im Gesamten den ganzen Ton ausmachen wird. Einen Ton, der schon, wie angekündigt, mit dem Morgenrot verzogen ist, trotzdem aber ein rotwärmender von da nach dort ist. So hoffe ich – eine Hoffnung auf einen rotwärmenden Ton zwischen Ihnen und mir, unter Ihnen, zwischen einer Presence und einem Futur. Zwischen da und dort, ein Ton, der daneben Gestalt gefunden haben würde, oder eben auch nicht. Es liegt in ihren Händen, oder nicht nur metaphorisch ausgedrückt: Ich lege ihn in Ihre Hände. Ich lege Ihnen einen Teil dieses rot gefärbten Tones in Ihre Hände und ermutige Sie, ihn neben meinem Sprechen, neben Ihrem Zu- oder auch Weghören, neben Ihrer Presence jenen Ton zu gestalten. So im Daneben, einfach nebenher.

Es war am 7. 1. dieses Jahres, als ich diese Einladung bekam. Diese Einladung, hier vor Ort zu sprechen, zu tun, zu handeln. Diese Einladung für eine Performing Lecture. Diese Einladung im Rahmen dieser Jubiläumsfachtagung mit dem Titel „Shaping the Future“.

Ich muss gestehen, mich irritierte der Titel, mich irritiert er nach wie vor. Und ich fragte mich, was das ist, was mich so sehr irritiert, was das Irritierende für mich ist, was mich so befremdet. Es sollte an dieser Stelle für jene, die mich nicht kennen, erwähnt sein, dass ich eine nahezu libidinöse Affinität zu Irritationen und Befremdlichkeiten hege, um – auf einen unzureichenden Punkt gebracht – mir die Sinne für einen unbestimmbaren Rest zu öffnen, der mit dem Versprachlichen abspringt und sich jedem Einzelnen von uns als ein spezifisches Irritierendes zeigt.

Was irritiert mich also so sehr an diesem „Shaping the Future“? Was befremdet mich, das mich an eine Gegenwärtigkeit bindet, die ich wiederum auf Englisch betitle? Dieser mein Titel zu dieser meiner Lecture Performance lautet: „Shaping the Presence“. Ja, zum einen frage ich mich: Warum ein Titel auf Englisch? Und zum anderen befremdete mich der Begriff „Shaping“, vor allem in der Wortkombination mit einem Futur.

Warum?

Der Duden gab mir folgende Antwort:

„Shaping“:

Methode zur Erzielung eines bestimmten angestrebten Verhaltens, bei der jene Reaktionen unterstützt und verstärkt werden, die in Richtung auf dieses Verhalten weisen.

englisch shaping, zu: to shape = formen, bearbeiten (Duden).

Wir haben es also mit einem psychologischen Terminus zu tun, der dem Behaviorismus (behavior, „Verhalten“) zuzuordnen ist, der wiederum mittels naturwissenschaftlicher Methoden – also ohne Introspektion oder Einfühlung – das Verhalten von Menschen und Tieren untersucht und erklärt. Konkret benennt Shaping (auch Approximation genannt) eine Konditionierungstechnik, bei der durch positive oder negative Verstärkung komplexe Abfolgen von Verhaltensweisen gefördert werden.

Wenn wir uns nun mit diesem Hintergrundwissen meine erste Frage „Warum ein Titel auf Englisch?“ vergegenwärtigen, so wird ein titelgebendes Subjekt virulent, das zum einen einen Anspruch auf eine Internationalität – Anglizismen – hebt und zum anderen der Vorstellung unterliegt, dass eine Zukunft nicht nur formbar und bearbeitbar ist, sondern gar, dass eine bestimmte Vorstellung von Zukunft als titelweisend zu erachten ist. Anders formuliert: Es da geht eine Idee von Zukunft voraus, die konditionierbar ist.

Sie könnten mich nun fragen, was mich so daran festbeißen lässt. Und ja, es ist ein Beißen an diesem anglistischen Titel, an diesem „Shaping“, an dieser „Future“. Ich beiße etwas heraus, das mir nicht bekommt, mich nicht bekommt. Und ich bin aus diesem Grunde gekommen: um diesen Biss zu thematisieren. Diesen Biss, der mich kauen ließ, meine Zähne mahlen, meine Zunge schmecken, meinen Gaumen fühlen und meine Mundhöhle bewegen ließ. Diesen Biss, den ich nicht schlucken konnte, den ich aus dem Mund nahm, der nach wie vor unverdaut vor mir liegt. Diese Zukunft, die scheinbar formbar ist.

Ich sprach es schon an. Dieser Zukunft geht eine bestimmte Vorstellung von Zukunft voraus. Nicht minder von Gestaltung. Da wird die Zukunft – ebenso wie die Gestaltung – für eine bestimmte Vorstellung gültig. Eine Vorstellung, die bestimmend ist. Nicht nur da, vor Ort, sondern allerorts: im Kino, in der Familie, im Beruf, in einer Beziehung, in der Schule, auf der Universität … Da werden die Zukunft und die Gestaltung von Menschen angesprochen. Da werden bestimmte Menschenvorstellungen virulent, Menschen, die sich einer Lebensgestaltung verpflichten, die sie für eine Zukunft befähigt. Da formt sich eine Vorstellung von „Mensch“ heraus, die nicht menschlich ist. Die dem Menschlichen sich versagt .

Ich werde an dieser Stelle möglichen Fragen vorgreifen, vornehmlich der Frage, die mitunter einen misstrauischen Zwischenton haben könnte: was denn daran nicht menschlich sei, was denn daran dem Menschlichen sich versagt . Zugrundeliegend die Frage, was denn unter „menschlich“ zu verstehen sei.

Das ist durchaus eine berechtigte Frage und auch eine schwierige, zielt sie doch genau auf eine Vorstellung von „Mensch“ ab, die davon abweicht. Das Abweichen von einer Vorstellung von „Mensch“ – oder sprechen wir von einer Normalisierung von „Mensch“ – wäre als menschlich zu begreifen. Folglich wäre das Menschliche – ich verwende auch gern den Begriff des Menschelns – etwas, was eben nicht entspricht, auch widerspricht, etwas, was nicht einordenbar ist; etwas, das etwas daneben, neben dieser Normalitätskategorie von „Mensch“, bewegt. Etwas, was daneben mitunter abspringt, ein unbestimmbarer Rest, der – ohne jetzt näher auf Lacan zu verweisen, als jener zu interpretieren ist – notwendigerweise als sprechendes Subjekt abspringt. In dem Moment, in dem ich zur Sprache komme, springt etwas ab. Hier, vor Ort, hier vor Ihnen springt ein unbestimmbarer Rest ab, einer, der nicht zur Sprache kommt, selbst wenn ich versucht bin, mit allmöglichen Listen und Sprachwendungen davon sprechend zu machen – immer wieder wird etwas abspringen. Der Sprung in dieses Hier und Jetzt, in diese Präsenz wird nie ganz gelingen, wird immer dieses Etwas verfehlen, haarscharf und haarknapp, eine Spur zu weit oder zu wenig. Gewiss ist, diese Präsenz wird sich erst im Nachhinein einschreiben. Sie gibt es nicht. Sie ist illusionär. Ein scheinbares Hier-und-Jetzt, eine scheinbare Präsenz wird immer begleitet sein von einem unbestimmbaren Rest, der sich daneben gestaltet. Der daneben, neben dieser vermeintlichen Präsenz, eine Gestalt findet, eine Gestalt annimmt, die eben erst im Nachhinein erkannt, gar sichtbar gemacht werden könnte.

Ich spreche im Konjunktiv, oder wäre es vorteilhafter, im Futur II zu sprechen? Ein unbestimmbarer Rest, der Gestalt gefunden haben würde, die im Nachhinein erkannt gewesen sein könnte, gar sichtbar gemacht worden sein könnte . Das klingt ungewohnt, eventuell sogar unbequem. Dieser verschränkte Satz mit dem Konjunktiv Futur II ist nicht nur lang, sondern auch nahezu unverständlich. Da braucht es mehr an Aufmerksamkeit, an Konzentration, um ihm zu folgen. Ich werde ihn wiederholen, um ihm den Raum zu geben, den er braucht. Dieser Satz um den unbestimmbaren Rest im Konjunktiv Futur II:

Ein unbestimmbarer Rest, der Gestalt gefunden haben würde, die im Nachhinein erkannt gewesen sein könnte, gar sichtbar gemacht worden sein könnte.

Ich springe nun von diesem unbestimmbaren Rest, der Gestalt gefunden haben würde, nun in dieses Hier und Jetzt, in diese Performance, in diese Tagung. In diese meine Lecture Performance mit dem Titel „Shaping the Presence“, in diese Jubiläumstagung mit dem Titel „Shaping the Future“.

Ich vermute, es wird schon ersichtlich, worauf ich anspiele, für welches Spiel ich eine Spur legte, dieses Spiel mit den unterschiedlichen Zeiten, für diese Spur des Konjunktivs. Dieses Spiel zwischen Presence und Futur, dieses Spiel zwischen Gegenwärtigkeit und Zukunft mit einer Nachträglichkeit. Beide Zeiten spielen damit, spielen mit dieser Nachträglichkeit, die sich in diesem unbestimmbaren Rest auftut. In diesem Menscheln, so nannte ich es, das von einer Vorstellung von „Mensch“ abspringt. Beide Zeiten spielen mit diesem Menscheln, das gewesen sein würde. Eine Spur davon, wenn es um die Frage geht: „Wie gestalten wir eine Zukunft, die zuerst die Frage in den Raum stellen würde: Wie gestalten wir eine Gegenwärtigkeit?“ Oder um die Frage konkreter auszudrücken: „Welche Vorstellung von Mensch braucht es, um eine Zukunft zu gestalten?“ Welche Vorstellungen von Mensch sind gegenwärtig? Stellen wir es uns vor, in diesem scheinbaren Hier und Jetzt, das daneben Gestalt gefunden haben würde. Stellen wir uns dieses Etwas vor, da direkt vor uns. Stellen Sie es sich bitte vor, da auf dieser Bühne, auf der ich gewesen sein würde. Legen Sie es aus der Hand, es wird sich im Nachträglichen zeigen, was daneben Gestalt gefunden haben würde. Sie werden es erkennen, oder auch nicht. Sie werden es sichtbar machen, oder auch nicht. Oder andere. Oder eben nicht. Ich weiß es nicht. Wir werden sehen. Wir werden gesehen haben. Morgen oder übermorgen. Oder sonst irgendwann in the Future. Spätestens mit dem nächsten Morgenrot.